Dr. Tanja Machalet ist seit 2011 Landtagsabgeordnete der SPD für den Wahlkreis Montabaur, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der ihrer Fraktion und Beiratsmitglied bei Mobifair, ein Verein, der sich für fairen Wettbewerb in der Mobilitätswirtschaft stark macht. Sie ist damit genau die richtige Ansprechpartnerin, wenn es um Fragen zum flächendeckenden Mindestlohn oder zum Landestariftreuegesetz in Rheinland-Pfalz geht.
Seit 2009 regelt die die EU-Verordnung 1370 den Wettbewerb, der hauptsächlich über den Preis bestimmt wird. „Wie viel kostet mich der Kilometer?“, das ist die spannende Frage, die jeder Busunternehmer beantworten muss. Und diese Frage entscheidet über Gewinn oder Verlust einer Linie. Neben Kraftstoff ist Personal der größte Kostenblock in der unternehmerischen Rechnung. Viele Beschäftigte haben den Eindruck, dass der europaweite Wettbewerb auf ihrem Rücken ausgetragen wird. Die Spirale der Lohnkostensenkung soll – ginge es nach dem Willen der SPD – aufgehalten werden. Zwei Modelle sind derzeit in der Diskussion.
Das Land Rheinland-Pfalz hat kürzlich einen Gesetzesantrag zur Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns in den Bundesrat eingebracht, der dort angenommen wurde und über den nun der Bundestag abstimmen muss. Das Landestariftreuegesetz (LTTG), das auch für den ÖPNV in Rheinland-Pfalz gilt, ist seit 2011 gültig. Wo ist der Unterschied? Welche Vorteile, welche Nachteile?
Das Landestariftreuegesetz schreibt zunächst fest, dass bei allen öffentlichen Auftragsvergaben Löhne nach den ortsüblichen Tarifverträgen zu zahlen sind. In den Bereichen, in denen es keine gültigen Tarifverträge gibt, sieht das Gesetz zunächst einen Mindestlohn von 8,50 € vor, der jährlich von einer Kommission aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern sowie Wissenschaftlern überprüft wird. Nach der ersten Überprüfung wurde dieser Mindestlohn zum 1. Januar 2013 auf 8,70 € angehoben. Allerdings gelten diese Tarifverträge nur für die Leistung, die ausgeschrieben ist. Ein Busunternehmen könnte sich also auf eine Buslinie bewerben und sich für den Betrieb dieser Linie verpflichten, den Lohn gemäß des festgesetzten Tarifs zu zahlen. Für alle anderen Strecken, die er bedient, oder Gelegenheitsverkehre, kann er auch nach einem anderen (evtl. niedrigeren) Tarifvertrag entlohnen. Das Landestariftreuegesetz sichert daher nur ab, dass Leistungen, die mit Steuergeldern bezahlt werden, nicht mit Dumpingtarifverträgen entlohnt werden.
Mit dem Gesetz zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns wollen wir festschreiben, dass in keiner Branche Löhne unterhalb von 8,50€ die Stunde gezahlt werden, um dem dramatischen Lohndumping der vergangenen Jahre zu begegnen, denn es darf nicht sein, dass Menschen, die Vollzeit arbeiten, davon nicht leben können.
Für welche Verkehre gilt das LTTG? Wer muss eine Tariftreueerklärung abgeben? Wie wird es kontrolliert?
Das LTTG gilt im Bereich Bus nur für die staatlich vergebenen Verkehre, also den ÖPNV und die Schülerverkehre. Diese werden i.d.R. von den Kommunen und Landkreisen ausgeschrieben und vergeben. Will ein Busunternehmen sich an einer solchen Ausschreibung beteiligen, muss es sich verpflichten, im Rahmen der Erbringung dieser Leistung mindestens den geforderten Tariflohn zu zahlen. Das Busunternehmen muss seinem Angebot dann eine Erklärung beifügen, dass es sich an den geforderten Tariflohn hält. Das ist die Tariftreueerklärung.
Die Kontrolle liegt bei den Stellen, die die Leistung auch vergeben haben. Sie können dafür entsprechende Nachweise von den Unternehmen einfordern, z.B. Lohnbescheinigungen. Leider ist vielen Kommunen dieser Aufwand zu hoch und eine entsprechende Kontrolle entfällt dann. Da diskutieren wir gerade, wie wir die Kontrolldichte verbessern können, ohne den Aufwand für die Kommunen zu erhöhen. Aber wir wissen auch, ohne Kontrollen ist das beste Schwert stumpf.
8,50 Euro sind beim LTTG Lohnuntergrenze. Gibt es darüber hinaus Sozialleitungen, bezahlte Pausenregelungen , Urlaubsansprüche, die nicht unterschritten werden dürfen? Unterliegen die LTTG-Löhne einer Tarifentwicklung?
Wir haben im LTTG für die Branchen, die keine Tarifverträge haben, einen Mindestlohn für die Erbringung von Leistungen im staatlichen Auftrag festgelegt, der auch angepasst wird. Für Branchen in denen es Tarifverträge gibt, führt das Arbeitsministerium ein Register, welche Tarifverträge für welche Branche vorzugeben sind. Diese Tarifverträge regeln dann natürlich auch weitere Tarifleistungen und die Arbeitszeiten.
Bezüglich der Dynamisierung der Tarifverträge werden wir noch in diesem Jahr das Landestariftreuegesetz anpassen, damit entsprechend des Zeitraums der Leistungserbringung auch die Tarifentwicklung den Beschäftigten zugute kommt. Es kann ja nicht sein, dass bei einer Laufzeit eines Vertrages für eine Linie von z.B. 10 Jahren, die Tariftreueerklärung den Lohn zementiert, der zu Beginn der Leistung gegolten hat. Nein, natürlich muss bei einer Weiterentwicklung des Tarifvertrages die Erhöhung auch an Beschäftigten die unter die Regelungen des LTTG fallen weitergegeben werden.
Was passiert bei Neuausschreibungen von Linienverkehren und Unternehmen, die langjährige Arbeitnehmer beschäftigen? Laufen die nicht in Gefahr, zu teuer für den Wettbewerb zu sein?
Das ist in der Tat ein großes Problem. Wir reden immer davon, dass der Wettbewerb dem Menschen dienen muss und nicht umgekehrt. Allerdings gestaltet sich der Wettbewerb z.T. so, dass er unerwünschte Nebeneffekte hervorbringt. Vor alle, dann, wenn es Anbieter gibt, die mit Kampfpreisen in den Markt drängen wollen. Deshalb muss bei jeder Ausschreibung genau geguckt werden, wie diese Nebeneffekte, verhindert werden können. Der Ausschreibungswettbewerb darf nicht dazu führen, dass ein Unternehmen für jede Ausschreibung eine neue Tochterfirma gründet und die Beschäftigten neu einstellt, um sie nach Ablauf des Verkehrsvertrages wieder zu kündigen.
Ich sehe es generell als problematisch an, wenn Unternehmen versuchen, Kosten zu sparen und Tochtergesellschaften ausgründen, um dort mit Tarifverträgen zu hantieren, die sie im Mutterunternehmen nicht durchsetzen können. Die Tarifpartnerschaft hat bei uns ein lange Tradition und insgesamt haben wir gesehen, dass Unternehmen in Deutschland, die eine gute Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und Betriebsräten haben, i.d.R. sehr gut durch die Krise gekommen sind. Das sollte nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden nur um ein paar Cent preiswerter zu sein. Im Zweifel leidet dann auch die Qualität darunter. Das ist aber für uns in der Politik eben auch die Aufgabe, einen entsprechenden Rahmen zu setzen.
Wenn Konzessionen verloren werden, was passiert mit den Arbeitnehmern? Müssen die für 8,50 Euro beim Neubetreiber anfangen? Fließt die Sicherung der Sozialstandards in die Ausschreibungsanforderungen ein? Sind sie Bestandteil der Nahverkehrspläne. Gibt es verbindliche Regelungen?
Die EU Verordnung 1370 gibt hier die Möglichkeit einen Betreiberwechsel nach einem wettbewerblichen Vergabeverfahren als Betriebsübergang zu werten. Dann haben die Mitarbeiter die Möglichkeit, ihre tariflichen Lohn- und Sozialstandards für mindestens ein Jahr mit in das neue Unternehmen zu nehmen. Das muss aber vor der Ausschreibung festgelegt werden. Dieses Verfahren bietet auch eine Möglichkeit die Beschäftigtenstruktur des Altbetreibers zur Grundlage der Preiskalkulation zu machen und somit das Problem, welches wir eben diskutiert haben abzufedern.
Leider wird von dieser Möglichkeit zu selten Gebrauch gemacht. Deshalb hat die Landesregierung für die Kommunen einen entsprechenden Leitfaden herausgegeben, wie die Ausschreibung zu gestalten ist, damit ein Betriebsübergang möglich wird.
Ich erinnere mich aber auch noch gut an die erste Zeit, als die EU Verordnung in Kraft war. Da haben viele gesagt, das sei nicht rechtssicher. Mobifair hat damals schon einen Vergabeleitfaden herausgebracht und die Gegenargumente entkräftet. Inzwischen hat es auch schon die ersten Vergaben mit diesem Instrument gegeben, ohne dass es Beanstandungen gibt. Es gibt also keine Ausreden mehr: wer verhindern will, dass der Wettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird, der hat genug Mittel, dies zu verhindern. Wer es nicht macht, der trifft auch eine bewusste Entscheidung!
Wohin entwickelt sich der ÖPNV Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren?
Das ist eine schwere Frage. Ich glaube, dass die Art, wie derzeit der Wettbewerb geführt wird, nicht nachhaltig ist. Unternehmen, die auf Kosten ihrer Beschäftigten heute eine Ausschreibung gewinnen, produzieren die Probleme von morgen. Wir haben jetzt schon in vielen Branchen das Problem, dass qualifizierte Mitarbeiter fehlen. Wer als einzige Antwort auf den Wettbewerb das Senken der Löhne anbietet, dem fehlt die Innovation und das unternehmerische Handwerk, um auch langfristig Erfolg zu haben.
Mein Endruck ist aber, dass der kurzfristige Profit oftmals über den langfristigen Erfolg gestellt wird. Wenn das auf Kosten der Lohn- und Sozialstandards und z.B. durch Ausgründungen von Billiggesellschaften oder Absenkung der Qualifikationen erfolgt, dann bekommt das Unternehmen und vielleicht auch eine ganze Branche ein Problem mit dem Nachwuchs.
Mit Blick auf den demographischen Wandel ist das auch im Busbereich eine reale Gefahr. Wenn ich sehe, dass ein Busfahrer inzwischen auch Kundenbetreuer und z.T. Streitschlichter ist, dann müssen Unternehmen das auch entsprechend honorieren. Wenn ich aber gleichzeitig sehe, dass bei uns vor Ort viele Unternehmen mit 450,- Euro Kräften oder Rentnern fahren oder in Bayern einige Unternehmen eine tschechische Tochterfirma gegründet haben, um tschechische Löhne zahlen zu können, dann sehe ich schwarz. Wie kann ich denn so für den Beruf des Busfahrers werben? Wenn sich diese Tendenzen durchsetzen, dann wird es eine Verknappung des Marktes geben und der Nachwuchs wird rar werden.
Ich glaube, verantwortungsbewusste Unternehmer müssen sich jetzt Gedanken machen, wie sie ihr Unternehmen, aber auch den Beruf des Busfahrers attraktiver machen können. Dazu bedarf es neuer Konzepte. Wenn wir als Politik dazu einen Beitrag leisten können, bin ich gerne dazu bereit.